BIG SIX – Marathon um die Welt

Es braucht in etwa die Dauer eines Marathon-Viertels, ein knappes Stündchen. Dann sind sie warmgelaufen – und mitten im Gespräch. „In Tokio liegt eine vollkommene Stille über dem Feld. Erst mit dem Startschuss zeigen die Japaner ihre ganze Begeisterung, ihre Euphorie.“ „Man nimmt in Kauf, vor Kälte bibbernd auf den Start zu warten, den Hudson River im Blick, dazu die Skyline von New York.“ „Chicago ist landschaftlich ein Traum, Boston ist so hügelig wie kein anderer Marathon.“ Kein Zweifel, hier haben sich fünf gefunden.

Als „ambitionierte Hobbyläufer“ bezeichnen sie sich. Das neue, ambitionierte Ziel eint vier von ihnen: Die sechs größten Marathons der Welt zu schaffen, die „Big Six“ zu knacken.

Zwar im bequemen Bus, doch schon mit Wanderschuhen an den Füßen, starten wir unsere Reise durch das Land am Äquator. Wir folgen den Wegen Humboldts, der die sogenannte Allee der Vulkane vor gut 200 Jahren erstmals erkundete. Recht anspruchsvolle Höhentouren im Gletscherbereich der Anden bietet unsere Reise-Agenda – sie fordern einiges an Ausdauer.

Aber auch wer vor allem an Landeskunde interessiert ist und auf die Wandertouren am Cotopaxi oder Chimborazo bis auf 5.000 Höhenmeter verzichtet, ist in Ecuador bestens aufgestellt. Die Gruppe besucht die indigenen Märkte mit einem farbenfrohen Angebot von Textilien aus Lama- oder Alpacawolle. Wir besichtigen ebenso eine Rosenfarm mit fair produzierten Blumen, die später auf die europäischen Märkte kommen sollen.

Eines unserer schönen Landhotels liegt im Bergnebelwald, in dem quicklebendige Kolibris und bunte Schmetterlinge vor die Kameralinse fliegen. Und ein informativer Ausflug zeigt den Teilnehmern, wie bester Ecuador-Kakao aus der Bohne in die Schokolade kommt.

Im Basislager haben sie sich getroffen, passenderweise in einem Reisebüro. Es geht schließlich hinaus in die Welt – und gut Ding will organisiert sein. Die vier Angriffslustigen sind: Birgit Brune-Voss, 56 Jahre, Bestzeit 4:19 Stunden. Manfred Heidbreder, 66 Jahre, Bestzeit 3:56 Stunden. Daniel Goletz, 48 Jahre, Bestzeit 3:52 Stunden. Bernd Killmann, 55 Jahre, Bestzeit 3:25 Minuten. Die fünfte im Läufer-Bunde ist Andrea Schröder, 51 Jahre, Bestzeit 4:17 Stunden. Sie hat die Gelassenheit der Big-Six-Titelträgerin im Blick, denn ihr ist das Kunststück schon 2017 gelungen: Boston, Chicago, New York, London, Berlin und Tokio. Die anderem sind auf dem langen Weg dorthin. Warum aber tut man sich 42,195 Kilometer freiwillig an?

Warum tut man sich 42.195 km freiwillig an?

Daniel Goletz sagt: „Die ersten Dauerläufe in der Natur, dann noch einen, dann der Hermannslauf. Und irgendwann bin ich beim Marathon gelandet. Ich konnte mir das zuerst auch nicht vorstellen, dass das so einen Spaß macht. Das baut man über Jahre langsam auf.“ Manfred Heidbreder ergänzt: „Und man kann das Niveau lange halten. Man läuft sich die kleinen Sorgen des Alltags aus dem Kopf. Nur vor den großen kann man nicht weglaufen.“ Birgit Brune-Voss meint: „Wir sind wohl alle gerne draußen. Hier im Teutoburger Wald hat es angefangen. Dann macht man sich auf zu mehr.“

Das nächste Ziel: London am 26. April 2020. Die drei Männer werden hier starten, Birgit Brune-Voss hat die Plakette schon im Schrank liegen, Andrea Schröder sowieso. Für Manfred Heidbreder, Daniel Goletz und Bernd Killmann stehen bisher jeweils New York, Berlin und Chicago auf dem Trophäenzettel. Chicago haben sie am 13. Oktober gemeinsam gemeistert, Brune-Voss war als Reiseleiterin dabei. Als nächstes also der 26. April 2020. Da war doch was? „Dass der Londoner Termin mit dem Hermannslauf zusammenfällt, ist schade. Das ist schließlich für uns so etwas wie eine Pflichtveranstaltung“, sagt Bernd Killmann lachend. Er hat den „Hermann“ bisher 28 mal absolviert, alle fünf zusammen kommen auf stolze 79 Einheiten vom Hermannsdenkmal zur Sparrenburg.

Bei aller Lust steckt aber auch viel Zeit dahinter, viel Training – und das entsprechende Kleingeld. Brune-Voss weiß, auf was ihre „Kunden“ zukommt, mit denen sie die Begeisterung teilt. „Das größte Problem ist, an die Startkarten zu kommen. Wenn das klappt, braucht man schon vier bis fünf Tage, das kostet dann etwa für New York oder London rund 2.000 Euro. Bei Boston und Tokio sind es eher 3.000.“ Damit alle die Läufe auch genießen können – denn das ist das Hauptziel – wird die volle Distanz praktisch nie trainiert. 30 Kilometer lange Läufe gehören zum Programm, dazu Tempoläufe über ein Drittel dieser Distanz, Intervalltraining wie zehn mal 400 Meter und „Erholungsläufe.“ Summa summarum gute 30 Kilometer pro Woche, das Ganze in zehn bis zwölf Wochen Vorbereitung.

Wer dopt, betrügt sich selbst!

Aber wenn wir schon dabei sind: Bei der sportlichen Leistung gerade im Ausdauerbereich kann man doch nachhelfen. Ist ja heute alles im Internet alles möglich. „Wer dopt, betrügt sich selbst“, meint Daniel Goletz kühl. Für seine Gruppe zähle nicht die Zeit, sondern das Erlebnis: „Wir nehmen das Laufen in der Gruppe wahr, die Gemeinschaft aller Athleten. Die Begeisterung an der Strecke. Dafür machen wir das.“ Birgit Brune-Voss: „Besonders in den USA spielt man als Läufer auch mit dem Publikum. Da stehen 150 Bands an der Strecke und spielen – das bekommen wir alles mit.“ In der „Reiseecke“ in Heepen laufen die Fäden zusammen, damit bald auch Tokio, Gastgeber der Olympischen Spiele 2020, auf dem Laufzettel aller steht. Das Ziel „Big Six“ ist wie ein einziger riesengroßer Marathon. Und, da spricht Andrea Schröder für alle: „Bei einem Marathon gibt man nicht auf.“

Dieser Bericht ist ein Gastbeitrag von Uwe Kleinschmidt, Neue Westfälische.

Vielen Dank für diese einzigartigen Worte.